„Das Pferd ist dein Spiegel“ – Ein Satz, der in der Pferdewelt polarisiert.
„Dein Pferd ist dein Spiegel. Es schmeichelt dir nie. Es spiegelt dein Temperament. Es spiegelt auch seine Schwankungen. Ärgere dich nie über dein Pferd; du könntest dich genauso gut über dein Spiegelbild ärgern.“
Rudolf Binding
Während die einen wissend nicken: „Oh ja, mein Pferd spiegelt mich ganz oft“, beginnen die anderen, die Augen zu verdrehen: „Nicht schon wieder die alte Leier“.
Aber erst einmal frage ich dich: Wie siehst du das Ganze? Jetzt, bevor du meine Gedanken dazu gelesen hast? Ich würde mich freuen, wenn du kurz inne hältst und darüber nachdenkst.
Hast du dir eine Meinung gebildet? Gut. Dann weiter im Text. Ich sehe es so: Wie so oft, liegt die Wahrheit irgendwo im Graubereich und der Satz ist viel mehr, als er auf den ersten Blick zu sein scheint.
Der Spiegel zeigt ein Abbild von uns selbst. Was wir machen, macht unser Spiegelbild auch. Aber er erlaubt uns auch einen Blick auf das, was uns sonst verborgen bleibt. Eine Antwort auf die Frage, wie andere Menschen uns sehen.
Und damit sind wir auch schon beim Pferd.
„Du bist verspannt. Ich kann verstehen, dass du unsicher bist, weil du das noch nie gemacht hast. Aber das Problem ist, dass du das auf Fiola überträgst. Du willst es gar nicht wirklich. Und Fiola weiß das ganz genau. Selbst, wenn du jetzt so viel Druck machst, dass sie doch noch antrabt, wird sie nicht entspannt sein. Weil du es nicht bist. Und weil du schon erwartest, dass sie nicht entspannt sein wird. Du kannst einem Pferd nichts vormachen. Es wird immer deine wahren Gefühle kennen.“
Nina – Auf neuen Pfaden (Teil 3 meiner „Nina“ Reihe)
Ein Pferd ist ein Individuum. Natürlich spiegelt es nicht bloß, was der Mensch tut. Es hat einen eigenen Kopf, eine eigene Persönlichkeit und einen eigenen Willen.
Dennoch ist es sehr gut in der Lage, Emotionen beim Menschen zu erkennen (das ist mittlerweile wissenschaftlich untersucht worden – spannend sind in dem Kontext übrigens die Spiegelneuronen. 😉 Nur, um das Wort einmal aufzugreifen).
Spiegelneurone
Spiegelneurone sind Nervenzellen im Gehirn, die sowohl aktiv werden, wenn eine Person eine bestimmte Handlung ausführt, als auch wenn sie jemand anderen dabei beobachtet, diese Handlung auszuführen oder nur darüber nachdenkt. Sie spielen eine Rolle bei der Nachahmung von Verhalten, sozialen Interaktionen und der Empathie.
Spiegelneurone wurden erstmals bei Primaten gefunden. Ob Pferde diese besitzen ist noch unklar.
Das Pferd bemerkt, ob unsere Emotionen mit dem übereinstimmen, was wir nach außen hin zeigen. Dabei sprechen wir von Kongruenz. Wenn jemand nicht kongruent ist, zeigt er sich zum Beispiel nach außen hin sehr selbstsicher, ist es aber eigentlich nicht. In diesem Fall werden sich viele Pferde dieser Person nicht anschließen, weil sie die Unsicherheit bemerken. Erkennen können Menschen das teilweise auch – aber sie zeigen es uns nicht so radikal. Das wäre nicht sozial angemessen. Doch diese „Regeln“ kennt das Pferd nicht. Es handelt so, wie es für ein Flucht- und Beutetier sinnvoll ist, um zu überleben.
Was das Pferd also kann, ist, Ungereimtheiten durch sein Verhalten aufzudecken und uns einen Blick von außen auf uns selbst zu ermöglichen. Das nennen wir Fremdwahrnehmung. Und die unterscheidet sich oft von der Selbstwahrnehmung.
Im Grunde kann ein Pferd also nicht nur unser Spiegel sein – sondern uns vor allem einen Blick hinter den Spiegel und die Fassade gewähren. Es ist also noch viel besser, als dieser eine Satz vermuten lässt. 🙂
Ob wir jedoch erkennen, was wir da sehen und was wir damit machen, das bleibt allein uns überlassen. Man könnte also fast sagen „zeig mir deinen Umgang mit dem Pferd und ich sage dir, wer du bist“ – oder?
So einfach ist es dann auch wieder nicht, aber zumindest ist es möglich, darüber Hypothesen abzuleiten und mit diesen Hypothesen zu arbeiten. Genau das machen wir uns im pferdegestützten Coaching zunutze! Die Kunst ist dabei, nicht nur zu erkennen, was der Mensch mitbringt, sondern eben auch das Pferd als Individuum einzubeziehen und nicht zu urteilen. Wenn wir uns der Reflexion jedoch öffnen, können wir viel daraus schöpfen und in unseren Alltag mitnehmen.
Wenn man mich also fragt, was ich von dem Satz „Das Pferd ist dein Spiegel“ halte, dann kann ich das nicht schwarz oder weiß / gut oder schlecht sehen. Wie so oft bedarf es unterschiedlicher Perspektiven.
Und: Wie ist jetzt deine Meinung zu dem Satz, nachdem du den Text gelesen hast? Hat sich deine Einstellung im Vergleich zum Anfang verändert? Lass es mich gern wissen!
Ich biete pferdegestütztes Coaching, sowie Bodenarbeitstraining in Nordhessen an und komme dafür gern auch zu dir und deinem Pferd um zu schauen, wo ihr euch spiegelt. So kannst du feststellen, wie ihr euch gegenseitig hochschaukelt und womit ihr euch gegenseitig unterstützen könnt.
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